Zeitreisende Teenager im Test zu Life is Strange

30.01.2015 - 01:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Life is Strange
Square Enix
Life is Strange
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Dontnod und Square Enix schicken am 30. Januar ein Spiel ins Rennen, das die Formel des modernen Adventures über die Grenzen des Telltale-Horizonts hinaus erweitern will: Life is Strange: Chrysalis heißt der verträumte Mix aus Zeitreisen und Teenager-Alltag.

In einer Zeit, in der das Frauenbild in Videospielen lauter und hitziger als jemals zuvor diskutiert wird, hat Life is Strange  die Chance, ein Duo in der Videospielwelt zu etablieren: Die schüchterne, introvertierte Maxine Caulfield schlüpft gemeinsam mit ihrer Kindheitsfreundin und nunmehr rebellischen Chloe Price in die Rolle der Protagonistinnen, die ihre turbulenten Teenager-Jahre in einer amerikanischen Kleinstadt verbringen. Zwei weibliche Hauptrollen — das war den Entwicklern so wichtig, dass sie die Kooperationen mit Publishern verweigerten , die sich diesem Wunsch entgegenstellten.

Das Motiv des Erwachsenwerdens bildet allerdings nur den Rahmen für das Kernfeature von Life is Strange, für das die Entwickler von Dontnod Entertainment lange Zeit einen passenden Überzug  gesucht haben:

Wir wussten von Anfang an, dass wir ein Adventure erschaffen wollten, welches sich rund um Entscheidungen, Konsequenzen und die Zurückspul-Funktion drehen soll. Davon ausgehend haben wir uns zusammengesetzt und über verschiedene Settings und Charaktere nachgedacht, die zu dieser Idee am besten passen würden. Dabei kamen wir sehr schnell auf eine Geschichte rund um die Teenager-Zeit, in der ein Mädchen die Hauptrolle spielt, das nach fünf Jahren wieder in ihre alte Heimatstadt zurückkehrt."

Während ausgewählter Dialoge und einiger Schlüsselszenen hat Max die Gelegenheit, die Zeit zurückzuspulen und sich für eine andere Herangehensweise zu entscheiden. Ihr bekommt so die Chance, alle möglichen Pfade und kurzfristigen Auswirkungen eurer Entscheidungen abzuklappern, bevor ihr euch für eine Option entscheidet und weiterspielt. Auch die immer wieder auftauchenden Rätsel-Passagen werden in diese Mechanik miteinbezogen: Sobald sich Max für den virtuellen Rückwärtsgang entscheidet, spult die Welt um sie herum zurück — sie selbst allerdings verharrt an der gleichen Stelle. Dieses Wissen müsst ihr immer wieder einsetzen, um zuvor versperrte Wege zu öffnen oder an bestimmte Objekte zu gelangen.

Die beiden Protagonistinnen Max (l.) und Chloe (r.)

Die Idee, Charaktere rund um ein innovatives Feature zu erfinden und zu schreiben, war nach Aussage des Entwicklerteams der Ausgangspunkt der Arbeiten an Life is Strange und ist durchaus eine riskante Vorgehensweise innerhalb eines Genres, das auf überzeugende und empathische Charaktere angewiesen ist. Dontnod Entertainment spuckt allerdings vor allem zu Spielbeginn ordentlich in die Hände, um diesem sich anbahnenden Problem der Inszenierung entgegenzuwirken.

Während der kompletten ersten Episode übernehmt ihr die Kontrolle über Max, die nach fünf Jahren wieder in ihre Heimatstadt zurückkehrt, um ihr Kunst-Studium mit Schwerpunkt Fotografie fortzusetzen. Als introvertiertes und eher unscheinbares Mädchen bekommt ihr einen Einblick in die verträumte Welt der talentierten Nachwuchs-Fotografin: Ihr könnt jederzeit in ihrem Tagebuch stöbern und so den inneren Monolog nachlesen, mit dem sie ihren Umzug, die ersten Tage am College und den Umgang mit ihren neuen Mitschülern kommentiert.

Der Eindruck des in sich gekehrten, stillen Mädchens wird im ersten Spielviertel weiter gefestigt: Ihr findet euch im Unterricht zum Thema "Berühmte Fotografen und ihre Kunst" wieder, und während der Lehrer seine Gedanken zum Thema herunterbetet, inspiziert ihr den Sitzplatz von Max, die alle Gegenstände stumm und ein wenig verträumt kommentiert.

In diesem Klassenzimmer nimmt die Geschichte von Life is Strange ihren Lauf.

Ohne euch zu viel von der Handlung zu verraten: Die sich darauf anschließende Szene, die als eine Art spielbares Intro funktioniert, gehört zu den Höhepunkten dieser ersten Episode und rückt erstmals den wirklich tollen Soundtrack des Spiels in den Vordergrund. Die Musik, die sich irgendwo zwischen atmosphärischen Instrumentalklängen und den besten Songs einiger ziemlich unbekannter Indie-Bands aus Frankreich bewegt, passt in diesem Moment wunderbar zu der verträumten Wolkenwelt, in der Max sich befindet.

Nach dieser angenehmen und wirklich stimmigen Exposition der Charaktere öffnet sich das Spiel und lässt euch relativ selbstbestimmt das gesamte Schulgelände und später auch die Wohnung von Chloe erkunden. An diesem Punkt verlässt Life is Strange die vorgezeichneten Pfade des Intros und vertraut darauf, dass ihr als Spieler selbst zu den relevanten Orten findet, an denen die Geschichte weitererzählt wird. Damit wagen sich die Entwickler aus dem bewährten Fahrwasser, in dem die Adventures von Telltale Games seit langer Zeit erfolgreich unterwegs sind — leider funktioniert dieser mutige Schritt im Falle von Life is Strange nur bedingt.

Es ist eines der ältesten Probleme der Spielebranche, mit dem auch Dontnod Entertainment zu kämpfen hat: Je eng gefasster und schlauchiger ein Level gestaltet ist, desto einfacher ist es für die Entwickler, das inszenatorische Maximum aus dem Wanderweg herauszuholen — allerdings droht das Spiel dann schnell zum filmähnlichen Erlebnis zu werden. Darf der Spieler hingegen völlig frei die Welt erkunden, müssen die Designer an allen möglichen Punkten, an denen ihr theoretisch vorbeikommen könntet, Quests und Missionen platzieren, ohne je wirklich zu wissen, in welcher Reihenfolge ihr auf diese Stellen treffen werdet — wenn ihr sie überhaupt findet.

Eine Tugend, die auch manchmal zur Not werden kann: Die Illusion von Open World

Life is Strange leidet unter diesem Interessenkonflikt: Auf dem Weg zu den spielrelevanten Stellen, die euch teilweise zu spannenden und dramatischen Entscheidungen herausfordern, stolpert ihr über ein Arsenal an Notizzetteln, optionalen Nichtigkeiten und Dialogen, die sich unnötig in die Länge ziehen, aber nichts zum Spielfortschritt beitragen. Auch das Korsett, in das der Charakter von Max zu Beginn des Spiels noch glaubhaft gepresst wird, beginnt sich allmählich aufzulösen: Durch den großzügigen Einsatz des Zurückspul-Features könnt ihr jeden einzelnen Dialog zu euren Gunsten lenken und so eine ansehnliche Schar neuer Verehrer und Freunde sammeln. Inhaltlich sollte sich das Wesen von Max, genährt durch das gewonnene Selbstbewusstsein, eigentlich weiterentwickeln. In den wenigen Cutscenes wird die Fotografin allerdings weiterhin als unsicherer Außenseiter inszeniert. Diese Dissonanz hinterlässt leider einen bitteren Beigeschmack und erleichtert die optionalen Dialogen auch um ihren letzten Sinn.

Immerhin halten die vier bis fünf wirklich entscheidenden Entscheidungsmomente einen spannenden Twist für euch bereit: Die langfristigen Auswirkungen eurer Entscheidung soll erst in den folgenden Episoden wirklich zeigen.

Etwa mit Erreichen der Episodenhälfte bekommt ihr es zunehmend mit Chloe, der alten Freundin von Max, zu tun: Durch eine schwierige Kindheit geprägt hat sich Chloe während der Abwesenheit von Max zu einer Rebellin entwickelt, die sich gegen ihren Stiefvater auflehnt, rauchend laute Punkmusik hört und die amerikanische Kleinstadt hinter sich lassen will. Dieser Charakter ist ein so deutlicher Gegenpol zu Max, der desweiteren nahezu perfekt in die Klischee-Schublade passt, dass sich manche Kritiker bereits fragen , ob hier sich nicht ein etwas tölpelhafter Mann mit der Erschaffung eines weiblichen Charakters vertraut wurde. Auch wenn dieser Gedankengang ein wenig verquer wirkt, so lässt es sich nicht abstreiten, dass sowohl Max als auch Chloe zu häufig für den Spieler uninteressant und voraussehbar wirken.

Je nach Spielweise werden viele von euch diese Szene überhaupt nicht zu sehen bekommen.

Da hilft es auch nicht, dass das Universum von Life is Strange fest an das Leben eines Teenagers auf dem Campus gebunden ist: Zickereien mit Mitschülerinnen und kleinkarierte Dramen zwischen Mitbewohnern beherrschen das Geschehen, während viel interessantere Anlaufpunkte, wie psychische Probleme mancher Schüler, die fast schon Züge eines Amoklaufs annehmen, in der ersten Episode bisher fast völlig vernachlässigt werden.

Parallel zu den Erlebnissen auf dem Campus erzählt Life is Strange allerdings noch eine weitere, fast surreale Geschichte: Immer wieder verschlägt es Max in eine Art Parallelwelt, in der sie, an einen Leuchtturm gelehnt, einen riesigen Tornado beobachtet, der sich unaufhaltsam ihrer Heimatstadt zu nähern scheint. Die erste Episode nimmt bisher nur wenig Bezug auf diese Visionen und lässt sie mindestens bis zum Beginn des nächsten Teils noch ein wenig unelegant im Raum der unvollendeten Erzählung stehen.

Fazit:

Vielleicht habe ich ein wenig zu viel von Life is Strange  erwartet: Nach dem wunderbaren, aber leider unerfolgreichen Remember Me , rücken die Entwickler nun erneut zwei Frauenfiguren in den Vordergrund und ergänzen das Kostüm des modernen Adventures mit einem interessanten und innovativem Gameplay-Feature.

Durch die Einbettung der Geschichte in eine Teenager-Welt, die dem Spieler nach und nach offen vor die Füße gelegt wird, riskiert Dontnod Entertainment allerdings, Spannung und Inszenierung zugunsten der erhöhten Bewegungsfreiheit aufzugeben. Auch mich verlor das Spiel zu diesem Zeitpunkt und irgendwann spürte ich kaum noch Interesse daran, die Geschichte von Max und Chloe voranzutreiben — ein fatales Zwischenfazit für ein Spiel, das sich noch volle vier Episoden lang auf die Schultern seiner mittelmäßig geschriebenen und inszenierten Charaktere stemmen muss.

Noch allerdings hege ich die Hoffnung, dass Life is Strange die Kurve kriegt und ein Spiel vor unseren Augen entfaltet, das der Bewerbung als "Adventure, dass das Konzept der schwierigen Entscheidungen revolutionieren will" gerecht wird.

Life is Strange wurde im Rahmen eines Review-Events bei Square Enix auf PC getestet.

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