Zu blöd für Christopher Nolan? - Rätsel als Chance

30.07.2015 - 09:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
InterstellarWarner Home Video
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Na, auch mal wieder einen Film von Christopher Nolan gesehen und irgendwie nur Bahnhof verstanden? Dann bist du hier richtig. Ich gebe dir eine Antwort - und zwar, dass wir gar keine Antwort brauchen.

Um ehrlich zu sein: Nach dem Genuss von Interstellar war ich erstmal komplett fertig. Nicht genug, dass der Film mich wie ein Schlosshund heulen ließ, nach dem Ende war ich einfach nur sprachlos. Viel verstanden habe ich in der letzten halben Stunde nicht, was allerdings dieses Mal nicht am texanischen Akzent von Matthew McConaughey lag. Stattdessen diskutierte ich mit meinen Mit-Kinogängern nach dem Film darüber, welche physikalischen Grundgesetze hier denn noch Bestand hatten. War ich zu blöd für Christopher Nolan? Nein, ich hoffe doch nicht. Ganz viele andere Menschen hatten ebenfalls einige Fragezeichen im Gesicht.

Ähnlich war es mir bereits bei Inception ergangen. Ich habe mir den Film oft angesehen und erkannte immer wieder neue Details. Kurioserweise verstand ich beim zweiten Schauen noch weniger als beim ersten Mal. Nach dem dritten Mal wurde es dann langsam etwas klarer. Eine Frage bleibt allerdings: Fällt dieser verdammte Kreisel nun am Ende um oder nicht? Eine Antwort, die uns Christopher Nolan durch den Schnitt ins Schwarze schuldig bleibt. Gleichzeitig denke ich aber auch, dass der schwarze Bildschirm als eine Aufforderung zum Nachdenken an die Zuschauer interpretiert werden kann.

Interstellar

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Christopher Nolan ist nicht der einzige Regisseur, der offene Fragen lässt. Eines der bekanntesten Beispiele ist der sowjetische Filmemacher Andrei Arsenjewitsch Tarkowski. Wie ein Dichter widmete sich Tarkowski der Kinematographie seiner Filme, die Geschichten blieben bei dem ein oder anderen Film aber nebulös. Mit Stalker (1979), Der Spiegel (1975), Nostalghia (1983) und Solaris (1972) setzte er sich ein filmisches Denkmal, bevor er viel zu früh an Krebs starb. Im Science-Fiction-Film Solaris schickt Tarkowski den Psychologen Kris Kelvin auf eine Raumstation ins All und viele Zuschauer wohl in eine langanhaltende Grübelphase.

Auch etwas jüngere Filme verlangen dem Zuschauer einiges an Kopfarbeit ab. Entweder weil sie sich nicht erklären oder die vermeintliche Problemlösung mit einem großen Fragezeichen beendet wird. Looper (2012), Waking Life (2001), Under the Skin(2013) und David Lynch Lost Highway (1997) sind nur drei Beispiele von Filmen, deren Drehbuch von den Darstellern wohl mehr als nur einmal gelesen werden musste. Des Öfteren spaltet sich bei solchen Filmen die Kritik in zwei Lager: große Begeisterung oder aber tiefe Enttäuschung. Mit welcher Erwartungshaltung Kinogänger und DVD-Konsumenten den Filmen begegnen, ist hier entscheidend.

Inception

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Möchte ich mich in den Kinosessel setzen und einen klassischen Verlauf erleben, in dem der heraufbeschworene Konflikt für alle Parteien gelöst wird? Dabei muss es nicht immer nur ein Happy End sein. Auch ein vermeintlich negatives Ende stellt eine Antwort dar. Oder erlaube ich dem Film diese Sofort-Befriedigung nach dem Abspann auszulassen? Ich bin der Meinung, dass offene Fragen nach dem Abspann erlaubt sein müssen und einen Film oft zu dem Meisterwerk machen, das er ist. Denn im Endeffekt ist ein Film voller unbeantworteter Fragen doch nur eine Metapher dieser Welt und bindet den Zuschauer ein. Wer hat schon alle Antworten auf das Leben? Ich nicht.

Und genau dieser Punkt bringt mich wieder zu Christopher Nolan. Der Meisterregisseur gibt gar nicht vor, die Antwort auf alle Fragen zu haben. Im Journalismus heißt es oft, dass man Dinge so einfach wie möglich erklären soll. Nur so verstehe jeder Leser, was gemeint ist. Für Filme gilt das teilweise auch. Schließlich müssen Themen und Drehbücher erst mal verkauft werden, sind diese zu komplex, sagt das ein oder andere Studio ab - aus Angst, kein Publikum zu finden.

Memento

Christopher Nolan hingegen schaffte es mit seinen Filmen in die Kinos und begeistert Millionen Zuschauer auch mit der Ästhetik seiner Werke. Bereits bei Memento ließ er einige Zuschauer bei der Erzählart mit Rückblicken in die Vergangenheit ins Schwitzen kommen, denn nichts ist so wie es scheint, oder doch? Einem Film Komplexität vorzuwerfen und ihn deshalb niedriger einzustufen, finde ich streitbar. Ein Film muss mir nicht alle Einzelheiten wie einen Babybrei vorkauen. Die ein oder anderen lamentieren aber genau das Gegenteil.

So muss sich auch Nolan immer wieder Fragen gefallen lassen, die ihm eine Erklärung seiner Filme aus den Ärmel schütteln wollen. Ich bin dagegen. Das ist ungefähr so, als würde man fragen: "Was will uns der Autor damit sagen?". Eine irrelevantere Frage habe ich im Deutschunterricht wohl nie gehört. Ich will keine Antworten. Ich will Fragezeichen und mir den ein oder anderen tiefer gehenden Gedanken machen. Bei so viel Schönheit von Nolan in der Bildkomposition, der Filmmusik und dem Editing darf die ein oder andere offene Frage doch erlaubt sein, oder?

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