Alles beim Alten – Das unsichtbare Pokémon-Problem

18.02.2015 - 09:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Damals war alles wie heute
gamespilot / Nintendo
Damals war alles wie heute
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Seit mittlerweile 16 Jahren erleben wir hierzulande immer wieder vermeintlich neue Pokémon-Abenteuer. Doch wirklich weiterentwickelt hat sich die Franchise kaum, was aber niemanden zu stören scheint. Wieso ist das so und warum regen wir uns nicht darüber auf? Ich tue es.

Vor einigen Wochen unterhielt ich mich mit einem Freund über das ihm unbekannte (und im übrigen äußerst empfehlenswerte) japanische Rollenspiel Ni no Kuni: Der Fluch der Weißen Königin . Neben der besonderen Studio Ghibli-Optik und der liebevollen, fast märchenhaften Inszenierung, kam ich dann auch auf das Familiar-System zu sprechen. So sehr ich mich aber auch im Erklären versuchte, so recht wollte mein Gegenüber nicht begreifen, was ich damit meinte. So blieb mir schließlich nur noch eines übrig: "So wie bei Pokémon , das kennst du doch!"

Ich kann es eigentlich nicht leiden, wenn ich diesen Vergleich heranziehen muss. Nicht etwa weil ich das Pokémon -Franchise nicht mag, ganz im Gegenteil, sondern weil ich immer das Gefühl habe, damit viele Aspekte außen vor lassen zu müssen. Es ist ein wortwörtlich unbeschreibliches Gefühl.

Ich probiere es trotzdem mal.

Pokémon kennt nahezu jeder. Das Franchise ist durch die Anime-Serie, die Kinofilme und ganz besonders durch die Videospiele tief im kollektiven Gedächtnis verankert. Neben Super Mario dürfte Pikachu wohl hinsichtlich der Videospielfiguren den höchsten Wiedererkennungswert in der breiten Bevölkerung besitzen. Das Franchise steht fast gleichbedeutend mit der eigenen unbeschwerten Jugend und der vagen "Früher haben Kinder noch ordentliche Sachen geschaut"-Empfindung. Kurz gesagt: Die Marke gilt als grundsympathisch und als Sinnbild positiver Nostalgie.

Blut ist dicker als Wasser

Da wird auch der Videospiel-Reihe gern einmal der ein oder andere Fehler verziehen und viele Wünsche, die mit jeder neuen Pokémon -Generation immer wieder offen bleiben, werden einfach mit einem Lächeln auf dem Lippen auf das nächste Mal geschoben. Dieses "nächste Mal" kommt schließlich ganz bestimmt. Wo große Spiel-Reihen wie Call of Duty  und Assassin's Creed  (in denen zumindest das Setting jedes Mal radikal variiert) regelmäßig für fehlende Abwechslung, geringen Anspruch und einer allgemeinen Innovationsarmut in der Öffentlichkeit gescholten werden, sehen wir das bei Pokémon nicht so genau. Es ist eben Pokémon, da ist das doch schon immer so gewesen, sagen wir uns. Macht doch noch immer Spaß!

Wieder ein "neues" Abenteuer

Was bei Fans noch ein natürlicher Gedankengang wäre, findet sich aber auch in der Fachpresse wieder. Jede neu erschienene Edition soll angeblich das "alte Gefühl" wiederbringen. Natürlich hat sich kaum etwas weiterentwickelt, weder spielerisch, noch grafisch, noch erzählerisch, aber dafür fühlen wir uns wieder so wie früher. Wisst ihr noch? Das erste Mal mit der blauen Edition? Schön war's! Die Kritik an der Reihe wird euphemisiert, der nostalgische Bonus packt die Marke in Watte. Immer ist alles irgendwie verzeihbar, Pokémon darf das. Da wird die Schwarz/Weiß -Edition schon als Innovator gefeiert, weil die Serie nach 12 Jahren endlich eine Pseudo-3D-Umgebung spendiert bekommt. Irgendwie gefällt mir diese Sonderstellung jedoch gar nicht.

Das Spiel, das nicht teilen möchte

Was bei dieser Sichtweise nämlich vernachlässigt wird, ist die Tatsache, dass durch fehlende Kritik, echter unbequemer Kritik, ein Monopol auf Spielmechaniken entsteht, das nicht hinterfragt wird. Durch die nicht enden wollenden, unreflektierten Liebesbekundungen entsteht kein Druck auf die Entwickler oder das Franchise. Pokémon pachtet das Recht auf Sammel- und Zucht-Szenarien und hält die dies bezüglichen Gameplay-Elemente durch die nicht existierende Notwendigkeit zur Innovation künstlich simpel. Das theoretisch ergiebige Potenzial dieser spielerischen Ansätze wird so zurückgehalten.

Jegliche direkte Konfrontation des Spielers mit der Fauna einer Spielwelt wird als Pokémon-Element oder als Pokémon-Flair beschrieben. Auch hier bedient sich die Fachpresse dieser zu kurz gedachten Assoziation und rüttelt nicht an dem faulen Relaxo, das auf der Breeding System-Truhe eingeschlafen ist. Auch alternative Fan-Entwicklungen, die sich an diesen Mechaniken bedienen, nehmen wie selbstverständlich die Pokémon-Ästhetik an (Collectems ) oder kopieren gleich das Original (Pokémon Uranium ). Wie großartig wäre aber ein Spiel, das sich an den Mendelschen Regeln  orientiert oder das Züchten bestimmter Eigenschaften zur spielerischen Grundlage nimmt?

Ein Spiel wie Pokémon? Lasst es aussehen wie Pokémon!

Aber nein, wir zwingen uns selbst dazu, auch nach Jahrzehnten noch immer mit einer Truppe von sechs Mini-Monstern von Dorf zu Dorf, von Orden zu Orden zu stolzieren und nebenbei lachhaft simplifizierte Kämpfe zu führen, für die sich selbst die konservativsten JRPGs schämen würden. Vier verschiedene Fertigkeiten, ein simples Elementar-Struktur und ein nicht-organisches Evolutions-System – mehr wird aus dem gigantischen Pool an Möglichkeiten nicht herausgeholt. Warum auch, der Erfolg gibt der Reihe schließlich recht.

Natürlich ist das kein Problem, das ausschließlich Pokémon betrifft, die Taschenmonster nehmen hier ob ihrer immensen Popularität lediglich eine Stellvertreter-Rolle ein. Ähnliche Situationen gab es theoretisch auch bei der Farm-Simulation Harvest Moon , wobei hier mittlerweile die Pluralität durch Browsergames wie FarmVille  oder Hay Day  Einzug gehalten hat. Dieser Wechsel ist bei Pokémon aber noch längst nicht in Sicht (das extrem erfolgreiche Yokai Watch  bleibt dem Westen noch vorenthalten) und möglicherweise besteht hier die Gefahr, dass die Marke mittlerweile zu präsent ist, als dass ein komplexeres, hochwertigeres Konkurrenz-Produkt in diesem Monopol entstehen könnte.

Sie küssten und sie schlugen es

Pokémon darf nicht mehr gleichbedeutend mit den Mechaniken gedacht werden, aus denen die Spiele bestehen. Wie bei jedem anderen Genre oder Sub-Genre auch muss die Marke von den spielerischen Inhalten getrennt betrachtet werden. Immerhin ist Destiny  auch kein Doom -Klon und Telltales The Walking Dead  hat auch keine Monkey Island -Elemente. Im besten Falle schaffen Spielmechaniken ein Gerüst, auf das die Spielwelt und die Geschichte eines Videospiels aufbauen kann, während sie es gleichzeitig verdecken. Diese Symbiose ist bei Pokémon aber schon lange nicht mehr zu finden.

Nur der Mut zur seriösen Kritik und zur Verurteilung unverzeihlicher Versäumnisse, also der professionelle Umgang mit dem Produkt Pokémon, zwingt das Franchise zur Innovation und eröffnet gleichzeitig der Konkurrenz den unstigmatisierten Zugang zu den Mechaniken. Anstatt wie sich sorgende Eltern das eigene Kind vor all den bösen Sticheleien dieser Welt schützen zu wollen, sollten wir loslassen und dabei zusehen, wie es in den Dreck fällt und sich vielleicht ein bisschen weh tut.

Das mag kein schöner Gedanke sein, hilft dem Kindchen aber mehr als es ihm schadet.

P.S.: Ich schaue mal was Wikipedia  eigentlich zum Familiar-System von No no Kuni zu sagen hat: "Außerdem existieren, ähnlich wie in den bekannten Pokémon-Rollenspielen, zahlreiche Monster, die Oliver entweder im Laufe der Handlung erhält oder nach dem Besiegen gezähmt und eingefangen werden können."

Ach man.

Disclaimer: QWER ist eine Kolumne der gamespiloten. Die hier getroffenen Aussagen spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der gesamten Redaktion wider, sondern beziehen sich auf den jeweiligen Autor selbst. Erst lesen, dann kommentieren.

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