Der Nussknacker - Ein Disney-Film, auf den niemand gewartet hat

01.11.2018 - 09:00 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Der Nussknacker und die vier ReicheDisney
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Neue Disney-Filme entfachen für gewöhnlich schon vorab einen Hype. Der Nussknacker und die vier Reiche aber läuft auffallend unauffällig unter dem Radar. Wie kann das sein?

Stellt euch vor, Disney bringt einen neuen Film heraus und (zumindest gefühlt) kaum jemand bemerkt es. Eigentlich ein undenkbares Szenario, das nun aber entgegen vermeintlich jeder Logik eingetreten ist. In dieser Woche nämlich startet in Deutschland mit Der Nussknacker und die vier Reiche ein Leinwandabenteuer in den Kinos, das vorab vom Mäusekonzern vergleichsweise sehr stiefmütterlich beworben wurde und daher scheinbar aus dem Nichts kommt. Dies wirkt auf den ersten Blick etwas verwunderlich mit Berücksichtigung des durchaus ansprechenden Casts um Newcomerin Mackenzie Foy (Interstellar) und Keira Knightley. Tatsächlich aber deutet alles darauf hin, dass Disney versuchte, vor Veröffentlichung Schadensbegrenzung zu betreiben. Sollte die neue Nussknacker-Verfilmung der befürchtete Flop werden, würde es die große Achillesferse des Studios einmal mehr freilegen.

Der Nussknacker und die vier Reiche - eine kuriose Entstehungsgeschichte

Der Regie-Credit bei Der Nussknacker und die vier Reiche ist aufgeteilt zwischen zwei Regisseuren - namentlich Lasse Hallström und Joe Johnston -, was in Hollywood denkbar ungewöhnlich ist. Die gewerkschaftliche Vereinigung der US-amerikanischen Regisseure (Directors Guild of America) nämlich sieht vor, dass regelmäßig nur ein Filmemacher die entsprechende Verantwortung für ein Werk - Animationsfilme ausgeklammert - übernehmen soll. So kam es beispielsweise, dass Bryan Singer nach seinem Rauswurf als alleiniger Regisseur von Bohemian Rhapsody gelistet wird, gleichwohl Dexter Fletcher angeblich 16 Tage lang als Retter in der Not fungierte und die turbulente Produktion in trockene Tücher brachte. Ausnahmen von erwähnter Konvention bilden etablierte Kreativ-Duos wie die Gebrüder Coen oder Russo. Johnston und der Schwede Hallström hingegen hatten zuvor nie zusammengearbeitet, erhalten aber dennoch beide eine Nennung im Abspann. Wie der Hollywood Reporter  berichtet, handelt es sich dabei um einen einvernehmlichen Entschluss der Regisseure, den Disney erfolgreich an die DGA herantrug.

Der Nussknacker und die vier Reiche

Ursprünglich sollte Hallström den neuen Nussknacker allein inszenieren, dann jedoch wurden umfangreiche Nachdrehs nötig, welche der 72-Jährige aus Zeitgründen nicht überwachen konnte, was wiederum Johnston auf den Plan rief. In die Postproduktion war Hallström indes wieder eingebunden, sodass von einem unüberbrückbaren Zerwürfnis zwischen ihm und Disney eigentlich nicht auszugehen ist. Damit mag dieser Fall in entscheidenden Details letztlich nur schwer mit dem Christopher Millers und Phil Lords bei Solo vergleichbar sein, dem heute startenden Film allerdings haben seine zwei (gegensätzlichen) Köche womöglich trotzdem nicht gut getan.

Auf der einen Seite bei Der Nussknacker und die vier Reiche steht also Hallström (Gilbert Grape, Hachiko) und damit ein routinierter, potentiell anpassungsfähiger Handwerker mit gelegentlichem Hang zum Sentiment. Jemand wie er ist für Disney im Grunde eine sichere Wahl. Joe Johnston (Jumanji, Captain America - The First Avenger) andererseits weist als Verfechter von unverhohlenem Eskapismus zwar genügend Erfahrung im Blockbuster-Metier vor, gilt jedoch auch als Individualist und Querdenker. Auf dem Papier treffen damit Feuer und Wasser aufeinander, was der Trailer zum Märchen-Remake auf skurrile Weise eindrucksvoll bestätigte. So schwanken die bislang veröffentlichten bewegten Bilder unentschlossen zwischen der Düsternis von Maleficent und - ausgerechnet - der zuckrigen Überladenheit von Ava DuVernays fast schon wieder vergessener Romanverfilmung Das Zeiträtsel aus diesem Jahr. Das Internet reagierte mit Frust und Spott.

Der Nussknacker und die vier Reiche unterstreicht Disneys größtes Problem

Der Nussknacker und die vier Reiche basiert auf der gleichnamigen Erzählung E.T.A. Hoffmanns, die Pjotr Iljitsch Tschaikowski später in ein berühmtes Ballett übersetzte. Disney sah in der bereits weltweit bekannten Geschichte Potenzial für einen berauschenden Familienfilm für Groß und Klein, der sich idealerweise perfekt in den ruhmreichen Kanon des Studios einfügt. Womöglich aber hat sich der Konzern massiv verkalkuliert, und das nicht zum ersten Mal.

Der Nussknacker und die vier Reiche

Die jüngere Vergangenheit zeigt, dass Disney zumeist hervorragend aufgestellt ist, was die Pflege von Franchises (MCU, Star Wars) und die lange Kette von Live-Action-Remakes seiner originären Stoffe betrifft, hingegen strauchelt, soweit es um davon unabhängige Produktionen geht. 2018 etwa verzeichnet die Schmiede bis hierhin drei Megahits (Black Panther, Avengers 3, Die Unglaublichen 2), welche vom finanziellen Misserfolg des bunten Fantasy-Spektakels Das Zeiträtsel getrübt werden (und nebenbei floppte mit Solo sogar erstmals ein Star Wars-Ableger). Der erwähnte Blockbuster von Ava DuVernay fußt weder auf einer originalen Disney-Marke noch ist er Teil einer bewährten Kino-Reihe - genau wie John Carter, The Lone Ranger und A World Beyond, die ebenfalls hinter den Erwartungen zurückblieben. All diese Filme versprachen viel, hielten jedoch wenig. Nun droht Der Nussknacker und die vier Reiche als nächste "Fremdadaption" kläglich in genau dieser Kategorie zu versanden.

Der Kinostart des neuen Nussknackers Anfang November ist mitten im saisonalen Niemandsland platziert. Naheliegend für den Streifen scheint eigentlich ein Release kurz vor Weihnachten. Diesen begehrten Slot belegt indes die Neuauflage Mary Poppins' Rückkehr, in deren Durchschlagskraft Disney offenkundig mehr Vertrauen hegt. Was bleibt, ist ein wahrscheinlich schon vor Kinostart hinfälliger Film, geboren direkt aus Disneys Einsichtsresitenz. Vielleicht wären derartig kostpielige Bauchlandungen vermeidbar, würde der Konzern sich wieder stärker darauf besinnen, es mit ganz neuen Abenteuern zu probieren, anstatt dem Zuschauer alten Wein in (nicht wirklich) neuen Schläuchen zu servieren. Wir sind jedenfalls dafür.

Ist Der Nussknacker und die vier Reiche auch an euch vorbeigegangen?

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