Warum Bloodborne eine bessere Welt erzählt als GTA 5

01.04.2015 - 18:00 Uhr
Die Aufregung des Fremden
Sony Computer Entertainment
Die Aufregung des Fremden
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Sowohl From Software als auch Rockstar Games werden regelmäßig für ihre beeindruckenden Spielwelten gelobt, doch wie sieht es im direkten Vergleich aus? Ich versuche zu erklären, was Bloodborne besser macht als GTA V.

Herrje, bevor ich augenblicklich an den öffentlichkeitswirksamen Pranger gestellt und für diese Überschrift mit allerlei Schimpfworten bedacht werde ("OMG, Clickbait und billige Provokation, du Schwein!"), versuche ich mich kurz zu erklären, bevor der eigentliche Text erst so richtig ins Rollen kommt. Vielleicht darf ich dann ja doch ungestraft von dannen ziehen.

Ein allgemeiner Vergleich der Spielwelten von Bloodborne  und Grand Theft Auto V  ist natürlich schon deswegen problematisch, weil die beiden Titel inhaltlich nicht gerade verwandt sind. Zwischen überdrehter Americana-Satire und viktorianischen Blutorgien liegt dann eben doch noch ein Grat, der alles andere als schmal ist. Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich die Stripclubs aus Los Santos nicht den zerütteten Kathedralen aus Yharnam gegenüberstellen kann.

Von Werkzeugen und Erwartungen

Dennoch greifen beide Welten aber auf dieselben Methoden zurück, die es den Entwicklern überhaupt erst ermöglichen, eine räumliche Umgebung erzählerisch aufzuladen. Zumindest in der Art und Weise, wie der Spieler in die Welt entlassen wird und wie diese auf ihn einwirkt, lassen sich Bloodborne und GTA V vergleichen. Und da eine große Einigkeit darüber zu herrschen scheint, dass sich die beiden ungleichen Titel in erster Linie über ihre überzeugenden Spielwelten definieren, liegt eine derartige Überlegung ja fast schon nahe.

Natürlich nur fast, daher gehe ich so behutsam wie möglich vor und versuche die Gemeinsamkeiten und die (qualitativen) Unterschiede in diesen Gemeinsamkeiten aufzuzeigen. Der größte und offensichtlichste Punkt, den Bloodborne und GTA V teilen, ist die jeweilige Bezugnahme auf ein eigentlich schon bekanntes Setting. Während Los Santos eine überzeichnete Kollage der Americana-Kultur bietet, verlässt sich Bloodborne auf eine viktorianisch-gotische Welt, die sich zudem aus Horror- und Western-Elementen speist. Auch wenn wir beide Spiele nicht kennen würden, hätten wir dennoch eine ungefähre Ahnung, was uns erwarten könnte, da beide Ansätze mit bestimmten Vorstellungen verbunden sind. Unsere persönliche Erfahrung mit Filmen, Literatur, bildender Kunst und anderen Medien hat uns in eine Erwartungshaltung gedrängt, die fast jede spezifische Thematik abdeckt und gedanklich eingrenzt.

Für den kreativen Weg von Rockstar Games oder From Software bedeutet diese Erwartungshaltung, dass die eigene Welt nicht aufwendig eingeführt werden muss und dass der Spieler alsbald allein gelassen werden kann, da er sich in zumindest stilistischer Weise auskennt. So erwarten GTA V-Spieler schnelle Autos, eine ausufernde Drogenkultur, Prostitution, Waffenmissbrauch und krumme Geschäfte in Verbindung mit Donuts, Hollywood und Cheerleadern. In Bloodborne hingegen überrascht weder die düstere Atmosphäre, noch das Aufkommen von Bestien oder religiöser Momente. Mit diesen gewählten Ausgangspunkten wagen sich die Entwickler zielgruppenorientiert an die Spielerschaft.

Maximale Welten mit minimaler Überraschung

Der große Unterschied besteht meiner Ansicht nach nun darin, dass sich Rockstar Games mit dieser prototypischen Version ihrer Welt zufrieden geben, während From Software erfolgreich versuchen, dieser voreingestellten Wahrnehmung eine originelle Variation der Spielwelt entgegenzusetzen. Denn wirklich weit rückt GTA V nicht ab von der Erwartungshaltung der Spieler. Die Satire des Spiels ist breit und umfangreich, geht aber selten in die Tiefe. Alkohol, Gewalt, Größenwahn, Geldgier, Bestechung, Pornographie, die Liste an überspitzen Nebeneffekten des American Dreams ist lang, doch das Spiel kommt über eine Aufzählung dieser Dinge kaum hinaus. Jede halbwegs relevante Entwicklung der realen Gesellschaft erhält ein extremes Äquivalent. Anstatt sich auf bestimmte Aspekte zu konzentrieren und dem Spieler die Abgründe aufzuzeigen, die daraus möglicherweise entstehen können, begnügt sich GTA V mit einer comic-haften Kopie der realen Welt.

Eigentlich wusste ich schon im Vorfeld der Veröffentlichung von GTA V womit ich es zu tun bekomme. Die Americana-Satire ist wohl die älteste und zugleich oberflächlichste Satire, mit der die amerikanische Gesellschaft angegangen werden kann. Diese Entscheidung stimmt nicht ärgerlich, sondern lässt mich unbeeindruckt zurück. Natürlich erschöpft sich die Social Media-Thematik darin, dass aus Facebook einfach Liveinvader wird und alles ein klein wenig abgedrehter ist, als im echten Leben. Ähnliche Wiedererkennungswerte finden sich in der Thematisierung von materialistischen Lebenseinstellungen, der Drogenpolitik, dem Umgang mit Minderheiten und der Spanne von Arm und Reich. Tatsächlich gewinnt GTA V erst durch diese Masse an nichtssagenden Erwähnungen an Reiz. Nicht der erzählerische Wert bindet uns an Los Santos, sondern die blanke Reichhaltigkeit.

Im Gegensatz dazu steht nun der aktuelle From Software-Titel Bloodborne, der mit der Ästhetik der Souls-Vorgänger bricht und uns mit einer riesenhaften Stadt konfrontiert, die mit sakralen Bauten überladen ist und den Eindruck vermittelt, als wäre hier gerade die Pest ausgebrochen. Auch hier war schon vor dem Release eine Erwartungshaltung der Spieler geschaffen, die sich an der Vorstellung des Viktorianismus und der spielerischen Vorgängern orientiert. Letztlich ist Bloodborne meinen Erwartungen aber selbstbewusst aus dem Weg gegangen und verdreht jede meiner Vorurteile über die Spielwelt und macht sie sich zunutze.

Breitgefächerter Fokus

Obwohl ich allein schon aus der Ästhetik der Spielwelt heraus schließe, dass ich es mit blutrünstigen, dreckigen Monstern und gotischem Realismus zu tun bekomme, erwartet mich hier oft etwas vollkommen anderes. Eine Vielzahl der Gegner in Bloodborne sind gar nicht erst als "gefährlich" markiert. Sie sind oft dünn, schlaksig und nur die wenigsten der Monster besitzen Reißzähne oder Krallen. Tatsächlich ist Bloodborne auch von Feinden bestimmt, die ich nicht wirklich einschätzen kann. Ohne Waffen oder auffallenden körperliche Eigenschaften kann ich nicht absehen, ob sie mich aufspießen, prügeln oder verzaubern wollen.

Die allgegenwärtige Gefahr von Bloodborne bleibt unbestimmt und lässt mich im Unklaren, damit orientiert sich das Gegner-Design am grundsätzlichen Gameplay des Spiels und nicht an der Erwartungshaltung der Spieler. Ähnliches gilt für die surrale Architektur von Yharnam, die zwar rein optisch an das 16. Jahrhundert angelehnt ist, aber verworren und symbolhaft wirkt. Hinter schweren Türen warten Wälder, kleine Falltüren geben den Weg zu vollkommen eigenständigen Stadtviertel frei und die Kanalisation ist überzeichnet und soll metaphorische Abgründe repräsentieren. Alles wird dem Spielgefühl untergeordnet und der Spieler wird mit seinen Vorstellungen allein gelassen und aufgefordert, sich auf eine vollkommen andere Welt einzulassen. Erst dadurch entfaltet sich die eigentliche atmosphärische Wirkungskraft von Bloodborne.

Es sei hier noch einmal erwähnt, dass ich nur von den Spielwelten der beiden Titel spreche. Weder möchte ich die spielerischen Werte von GTA V und Bloodborne noch ihre gesamtheitliche Qualität in Beziehung setzen. Tatsächlich hat Rockstar Games ein einzigartiges Spielgefühl geschaffen, das die Kreativität der Spieler und die Lust an der Absurdität fördert. Nur braucht es dazu kein Liberty City und kein Los Santos. Bloodborne hingegen zeichnet sich durch Originalität, Einfallsreichtum und dem Mut zur narrativen Lücke aus.

Aber letztlich gilt bei beiden Spielen: Gestorben wird immer.

Disclaimer: QWER ist eine Kolumne der gamespiloten. Die hier getroffenen Aussagen spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der gesamten Redaktion wider, sondern beziehen sich auf den jeweiligen Autor selbst. Erst lesen, dann kommentieren.

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