Warum sich Until Dawn selbst im Weg steht

30.10.2015 - 18:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Until Dawn
Sony Computer Entertainment
Until Dawn
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Wenn es euch wie mir erging, dann fandet ihr Until Dawn wirklich unterhaltsam, aber habt euch beim Spielen daran gestört, dass Film- und Videospiel-Aspekte des Werkes von Supermassive Games sich (nicht nur gegenseitig) beeinträchtigen.

Keine Frage — für mich zählt Until Dawn zu den Highlights des Jahres 2015. Die Qualität des Titels und der daraus resultierende Spielspaß sollen hier also für mich gar nicht zur Debatte stehen. Stattdessen möchte ich an dieser Stelle die beiden Medien in den Fokus rücken, die das Spiel ausmachen. Aus dem unten zu sehenden Video von Mark Brown borge ich deshalb das folgende Argument: Until Dawn zielt darauf ab, gleichermaßen Videospiel wie Horrorfilm zu sein und daraus ergeben sich gewisse Probleme.

Achtung! Um diesen Sachverhalt angemessen darlegen zu können, wird der Text Spoiler zur Geschichte von Until Dawn und The Cabin in the Woods enthalten.

Film und Spiel — Zwei Herzen in einer Brust

Wenn ihr Until Dawn genauer betrachtet, wird schnell klar, dass die zwei Herzen im Brustkorb des Werkes von Supermassive Games nicht im selben Rhythmus schlagen. Darin prallen die Konzepte von Videospiel sowie Horrorfilm aufeinander und daraus ergibt sich für Brown das folgende Problem:

Until Dawn der Film will, dass alle Figuren sterben. Aber Until Dawn das Spiel will, dass alle Charaktere überleben.

Von einem Film aus dem Horror-Genre (im Fall von Until Dawn Teenie Slasher, Splatter und Monsterfilm) erwarten wir, dass möglichst viele der vorkommenden Figuren im Laufe der Handlung einem — wie auch immer gearteten — furchterregenden Antagonisten zum Opfer fallen. Doch simultan fordert uns der Videospiel-Anteil dazu heraus, möglichst viele Charaktere die rettende Morgendämmerung erleben zu lassen.

Derartige Angst hatte ich nur bei Jumpscares

Durch diese Gegensätzlichkeit machte sich bei mir im Spielverlauf von Until Dawn Angst eher spärlich breit, obwohl dieser Titel als Survival-Horror beworben wurde. Stattdessen versuchte ich nach einiger Zeit, zumindest im ersten Spieldurchlauf, gegen den Horrorfilm Until Dawn zu arbeiten. Denn trotz der anfänglichen Antipathie gegenüber einigen Charakteren, war es irgendwann nur noch mein Ziel, möglichst viele Figuren aus der misslichen Lage auf Mount Washington zu befreien. Mit mäßigem Erfolg. Schließlich erblickte nur Mike, den ich zu Anfang am liebsten sofort zusammen mit Jess abgesägt hätte, das rettende Morgenrot.

Der Horrorfilm Until Dawn

Ein weiterer Grund, aus dem mich Until Dawn nicht richtig gruseln konnte, waren die Wechsel der Subgenres, die sich durch die Geschichte des Spiels ziehen. Dabei steht außer Frage, dass sie den Titel spannender gestalteten, weil sie mich auf diverse Holzwege führten. Trotzdem verwirrten sie mich als Zuschauer des Hororfilms Until Dawn, denn sie verhinderten, dass ich mit einem der Genres warm werden oder meine Angst auf einen Antagonisten fokussieren konnte.

Zunächst gibt es die mysteriöse Gestalt, die sich später als der namenlos bleibende Fremde herausstellt, der Mount Washington zwecks Wendigojagd zu seinem Zuhause gemacht hat. Parallel dazu existiert noch der maskierte Psychopath, der sich als Josh entpuppt. Beide Figuren lassen den Horrorfilm Until Dawn zunächst in Richtung Teenie Slasher tendieren. Wenn der Psychopath Ashley und Josh, dann Ashley und Chris, in seiner Gewalt hat und in Foltervorrichtungen um ihr Leben bangen lässt, erinnert das hingegen an das Splatter-Franchise Saw. Zu guter Letzt trachten auch die Wendigos den Protagonisten nach ihren Leben und verpassen Until Dawn den Anstrich eines Monsterflms.

Wendigos haben es auf die Protagonisten abgesehen

Ich hatte dabei das Gefühl, mich in einem ähnlichen Szenario zu befinden, wie ich es aus dem Film The Cabin in the Woods kenne. Auch darin wird der Zuschauer — in Form vieler Kreaturen, die ihr Dasein in unterirdischen Käfigen fristen — mit unterschiedlichen Horror-Subgenres konfrontiert. Darüber hinaus gibt es ein ebenfalls unter der Erde liegendes Kontrollzentrum, von dem aus das Verhalten der Filmfiguren mithilfe von Hormonen und anderen Manipulationen gesteuert wird. Aber auch dieser Film bewegte sich für mich, ebenso wie Until Dawn, eher im Genre des Thrillers als in dem des Horrors.

Das Videospiel Until Dawn

In einem ähnlichen Kontrollraum platziert euch gewissermaßen auch Until Dawn. Als Videospiel überlässt es euch an bestimmten Stellen die Wahl, welche Aktionen die Charaktere ausführen oder aber verweigern und wie sie sich gegenüber anderen verhalten sollen. Weil Figuren wie Emily, Jessica oder Mike — die nach den Genre-Regeln des Horrors im Laufe der Geschichte eigentlich das Zeitliche segnen müssten — das gesamte Spiel überleben können, arbeitet das Videospiel Until Dawn gegen den Horrorfilm Until Dawn. Nicht zuletzt, weil der Titel auch so gespielt werden kann, dass alle Figuren  das Licht des Morgengrauens erblicken. Und obwohl das eine interessante Möglichkeit bietet, um die altbekannten Stereotypen aufzumischen und aus einer anderen Perspektive zu betrachten, deckt es sich nicht mit diesem Genre.

Tode von Charakteren können hingegen unter anderem dadurch herbeigeführt werden, dass auf Quick Time Events nicht schell genug reagiert wird, Figuren sich gegenüber anderen nicht loyal verhalten oder aber die genrespezifischen Regeln des Horrors missachtet werden. Entfernt sich Ashley beispielsweise im letzten Drittel des Spiels von der Gruppe, um einem mysteriösen Geräusch auf den Grund zu gehen, wird ihr von einem Wendigo der Garaus gemacht.

So muss es nicht für Emily enden

Allerdings könnt ihr euch, ebenfalls im letzten Drittel des Spiels, dazu entscheiden, Emily nach einem Wendigo-Biss zu exekutieren, wenn sie bis zu diesem Punkt überlebt hat. Dabei war mein erster Impuls sie zu erschießen, weil ich vor allem in Horrorfilmen mit Zombies gelernt hatte, dass sich Infektionen durch derartige Verletzungen übertragen können. Kurz nachdem ich dieser Intention folgte, wurde mir jedoch offenbart, dass diese Genre-Regel nicht auf Until Dawn zutrifft. Emily hätte sich nicht in einen Wendigo verwandelt.

Es liegt in euren Händen

Es bleibt den Spielern überlassen, wie sie die vorhandenen Charaktere spielen. Deshalb liegt es auch in ihren Händen, wie gut sich gewisse Klischees und Stereotypen in die Geschichte von Until Dawn eingliedern oder an wie vielen Stellen mit ihnen gebrochen wird. In jedem Fall bleibt jedoch die Diskrepanz zwischen dem Horrorfilm Until Dawn und dem Videospiel Until Dawn bestehen. Im ersteren steht der Tod, im zweiteren hingegen das Überleben der Figuren im Mittelpunkt.

Beeinträchtigen diese Widersprüche den Spielspaß von Until Dawn? Nein. Sie machen es zu einem Titel, der den Regeln seines eigenen Genres nicht vollständig gerecht werden kann und meiner Meinung nach ist das auch gut so. Zwar gruselte ich mich nicht wie bei Project Zero 3: The Tormented  oder dem Playable Teaser von Silent Hills, aber ich wurde durch die wechselnden Horror-Subgenres gut unterhalten. Mir wurde zudem die Möglichkeit gegeben, mit Horror-Stereotypen zu experimentieren, was eine schöne Abwechslung zu anderen Genrevertretern war.

Außerdem ist es manchmal auch ganz angenehm, sich nicht verängstigt und verschwitzt hinter einem Kissen zu verstecken, findet ihr nicht auch?


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