Wie einer der besten Action-Filme aller Zeiten: Unheimlicher Heist-Thriller übertrifft alle Erwartungen

22.02.2023 - 13:00 UhrVor 1 Jahr aktualisiert
The Temple Woods Gang läuft im Forum der BerlinaleSarrazink Productions
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Sechs Freunde planen einen Heist im Berlinale-Film The Temple Woods Gang und wie im Action-Klassiker Heat verheben sie sich damit. Die Konsequenzen sind dramatisch.

Ein arabischer Öl-Prinz isst auf seinem thronartigen Sessel genüsslich Datteln und verhängt nebenbei Todesurteile im Heist-Film The Temple Woods Gang. Natürlich spricht er diesen Befehl nicht wörtlich aus, aber was er meint, ist klar. Er wurde bestohlen und die Täter müssen dafür bezahlen.

Diese Täter gehen zwar nicht ganz so professionell oder eiskalt vor wie Robert De Niros Truppe im Action-Klassiker Heat, doch in anderen Dingen ähneln sie ihr. Beide Diebesgruppen sorgen für äußerste Spannung, wenn sie ihren Überfall planen, ausführen und ... ihnen die Kontrolle darüber entgleitet. Der französische Heist-Film gehört zu den großen Überraschungen im Programm der diesjährigen Berlinale.

In dem Heist-Film landen sechs Freunde aus einem Banlieue einen Coup

Temple Woods bzw. Bois du Temple – das ist der Name einer Hochhaussiedlung in Clichy-sous-Bois, einer Vorstadt von Paris. 2005 brannten in dieser Stadt Autos. Jugendliche lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Die Gemeinde war Ausgangspunkt landesweiter Unruhen, nachdem zwei Teenager auf der Flucht ums Leben gekommen waren.

18 Jahre später blicken wir mit dem ruhigen Monsieur Pons (Régis Laroche) auf die Hochhaussiedlung. Triste Blocks, zwischen deren Schluchten Kinder spielen und Tauben gefüttert werden. Soeben ist Pons' Mutter gestorben, der mutmaßlich letzte Mensch in seinem Leben. Wären da nicht sein jüngerer Nachbar Bébé (Philippe Petit) und dessen Freunde. Sie zollen Pons Beachtung, geben ihm Tipps für Wetten oder spendieren einen Schnaps.

The Temple Woods Gang

Die Kumpel-Typen hängen auf Klappstühlen vor einer Garage ab und schrauben an Autos herum. Sie schmieden Pläne. Bis an die Zähne bewaffnet überfallen sie einen unscheinbaren Lieferwagen, der Koffer voller Euroscheine, Schmuck und Papiere transportiert. Alles geht gut, bis der Besitzer den Spezialisten Jim (Slimane Dazi) auf die sechs ansetzt. Eine Hetzjagd nimmt ihren Lauf, in die früher oder später der stille Monsieur Pons eingreifen wird. Der hat seine Brötchen nämlich mal als Scharfschütze in der französischen Armee verdient.

Action gibt es auch in The Temple Woods Gang, aber vor allem ist der Film unheimlich

Natürlich bietet The Temple Woods Gang Action-Szenen, immerhin scheut keine der beiden Seiten vor Waffengewalt zurück. Diese ist aber nicht das herausragende Merkmal des teils unheimlichen Heist-Films (wobei die Gewalt mit einer schneidenden Kälte inszeniert wird, die es in sich hat).

Heraus ragt vielmehr die Geduld und Präzision, mit der Regisseur und Autor Rabah Ameur-Zaïmeche sich den Figuren nähert. In langen Einstellungen sehen wir die sechs Räuber am Tresen schwatzen, mit sichtlichem Stolz über ihren Coup. Vor und nach der Tat beobachten wir sie in fast dokumentarisch anmutenden Aufnahmen und dennoch verschiebt sich etwas fundamental in diesem Film.

Was als naturalistische Milieustudie einsetzt, gewinnt durch den Auftritt des Handlangers Jim ein unheimliches Grundgefühl. Der intime Blick in ihr Leben wandelt sich zur Observation. Geld und Einfluss des Scheichs identifizieren die sechs Räuber in Windeseile. Jeder weiteren Szene liegt fortan Paranoia zugrunde, da die grenzenlose Macht des Scheichs überall hinzureichen scheint. In die Peripherie von Paris, in Garagen, Wohnungen, das Gefängnis. Es wird jedoch nicht die letzte tektonische Verschiebung in dem ungewöhnlichen Thriller bleiben. Denn Monsieur Pons, die unbeteiligte Randfigur, sieht mehr, als man denkt.

Was die Helden des Banlieue mit denen des Action-Meisterwerks gemeinsam haben

In Michael Manns Klassiker von 1995 können die Diebe nicht anders, weil das Verbrechen ihre Profession darstellt. Sie überschreiten die Grenze des Gesetzes einmal und leben ihr Leben konsequent auf der anderen Seite weiter. Miteinander reden und essen sie trotzdem wie normale Arbeitskollegen, also wenn es nicht gerade um Maschinengewehre oder Sicherheitssysteme von Banken geht.

The Temple Woods Gang

Rabah Ameur-Zaïmeche überhöht das Verbrecher-Dasein in seinem Film nicht in diesem Ausmaß, die Sympathien werden dennoch eindeutig verteilt. Sechs Robin Hoods bestehlen einen Prinzen.

Seine Hoheit schleicht wie ein Alien durch den Film. Eine der großen Sequenzen zeigt den Scheich in einem rauchigen Nachtclub, wie er gewissermaßen auf den Gräbern seiner Gegner tanzt. Diese Figur besitzt keinen eigenen Raum in The Temple Woods Gang, nur einen Stuhl, von dem aus er schaltet und waltet, keinen Charakter, keine Emotion. Er ist ein Dollar-Zeichen auf zwei Beinen.

Darin und vermutlich nur darin unterliegt der Prinz den Räubern. Denn diese sechs Robin Hoods gehören zu ihrem Viertel, wie Michael-Mann-Helden zu Los Angeles gehören. In diesen Film-Welten gibt es einen Ethos. Und den kann man nicht mit Geld kaufen.

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