Tag 3 - Emma Stone verzaubert in Irrational Man

16.05.2015 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
"He's very conservative in a liberal kind of way."
Sony Pictures Classics
"He's very conservative in a liberal kind of way."
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Woody Allen lässt Emma Stone in Irrational Man nach Schuld und Sühne fragen und Colin Farrell versucht in The Lobster aus einem dystopischen Liebesgefängnis auszubrechen.

In der Zukunft werden Singles für 44 Tage in ein Landhotel gesteckt und wer danach keinen Partner vorweisen kann, der sollte sich fix sein Lieblingstier aussuchen - in das er bald verwandelt wird. The Lobster von Giorgos Lanthimos (Dogtooth) führt diese Vision vor und Colin Farrell gibt eine Art Winston Smith, als hätte Wes Anderson George Orwell adaptiert. Dinge und Menschen werden strikt sortiert und aufgeteilt. Bist du homosexuell oder heterosexuell? Bi steht nicht zur Auswahl. Was ist dein entscheidendes Merkmal? Ein hinkendes Bein, ein nettes Lächeln, Nasenbluten, Kurzsichtigkeit? Dann muss der Partner deiner Träume ein hinkendes Bein, ein nettes Lächeln, Nasenbluten oder Kurzsichtigkeit vorweisen. Ihr sollt ja schließlich zusammenpassen.

Woody Allens neuer Film Irrational Man spielt zwar nicht in der Zukunft, seine Figuren sind aber kaum weniger überzeichnet als die von Lanthimos. Nur dürfen Joaquin Phoenix und Emma Stone um einiges natürlicher über Kant, Heidegger und Kierkegaard reden. Die gestelzte Ultra-Nüchternheit eines Lanthimos wäre in Allens Abrechnung mit der romantischen Verklärung gewisser, ihm wohlbekannter, Figurentypen fehl am Platz. Joaquin Phoenix gibt den Philosophieprofessor Abe, der mit Flachmann im Jacket und diversen Traumata auf dem Buckel an ein College im sonnigen Newport kommt. Abe ist dauerhaft am Boden eines Whiskeyglases angekommen, empfindet keine Freude mehr am Leben und die Studentin Jill (Emma Stone) liebt ihn dafür. Er sei so "verletzlich" und "attraktiv", schwärmt sie im Off-Kommentar, der zwischen Tagebucheintrag und Liebesroman changiert. Vor allem anderen sei Abe "interessant". Woody Allen ist dafür zu applaudieren, dass er Emma Stone und Joaquin Phoenix für Irrational Man besetzt hat. Stone bewegt sich mit ihren großen klaren Augen wie die neugierige Naivität auf zwei Beinen durch den Film. Phoenix mit seinem tiefen, schattigen Blick zwischen den schiefen Zügen gibt ihre physische Antithese. Ein Kontrast, der im Laufe des Films von einiger Wichtigkeit sein wird, denn Abe entdeckt wieder die Freude an Leben und Erektionen - nachdem er einen Richter ermordet hat.

Colin Farrells kurzsichtiger Held in The Lobster bricht ebenfalls aus den geregelten Bahnen seines Lebens aus, um in der Liebe aufzugehen. Anders als Irrational Man, der wie Abe erst mit dem mörderischen Bruch an Vitalität gewinnt, offenbaren sich im Film des Griechen die konzeptionellen Schwächen. Ein höchst amüsantes Skurrilitätenkabinett in besagtem Verkupplungshotel wird durch ein anderes Skurrilitätenkabinett ersetzt. Was Lanthimos' durchaus bissige Satire auf das Geschäft mit der Liebe auf ermüdende Tricks beschränkt. Das ist wahnsinnig durchkomponiert und ohne Frage schön anzusehen, aber irgendwann gerät auch Absurdität zur Norm und damit fad. Trotz der sich bemühenden Schauspieler um Farrell, Rachel Weisz, Olivia Colman und Léa Seydoux nutzt sich Lanthimos Schtick in der zweiten Hälfte in Windeseile ab. Wenn auch der Anblick von John C. Reillys in Zeitlupe auf und ab wippenden Locken das Kinoticket wert ist.

Im irrational man Abe kreiert Woody Allen seinen persönlichen Raskolnikow, der sich in existenzialistischer Verblendung zum Richter über Leben und Tod aufspielt. Am sonnigen Gemüt des von Darius Khondji augenschmausend fotografierten Films ändert das gleichwohl nichts. Irrational Man mag die "Ästhetik des perfekten Verbrechens" aufarbeiten, auf die "bullshit french post-war rational" scheint auch Allen wenig zu geben. Seine Kreationen Abe und Jill sind Chiffren romantischer Verklärung, die einander bedingen und gleichermaßen ihr Fett wegbekommen. Damit ist der vor sich hin plätschernde Irrational Man unerwartet eine der rigoroseren Bearbeitungen bekannter Allen-Themen. Sein spärlich gesäter Witz wird Zweitsemester im Philosophie-Bachelor richtig stolz auf sich machen.

The Lobster inszeniert die Liebe als Lego-Baukasten-Set, was dem Dasein als Kritiker in Cannes viel näher ist, als es sich die Zunft eingestehen würde. Gelbe, blaue und pinke Badges, pinke mit Sternen und natürlich die unerreichbaren weißen Badges reihen sich morgens 8.30 Uhr vor dem Debussy oder dem Lumiere ein, ohne Kontakt zur andersfarbigen Außenwelt. Wie die ein dutzend Espresso-Kapsel-Arten, die im Palais Koffeinbedürftigen eingeflößt werden, rutschen die Badge-Klassen in die korrekten Warteschlangen. Von dort geht es zu ihren zugewiesenen Eingängen, einem Scan, einer Taschenkontrolle, einer verhaltenstherapeutischen Abhärtung gegen Platzangst und schließlich in die korrekte Zone im Kino. Für Blaue führt das im 2300 Besucher starken Grand Théâtre Lumière beispielsweise zum steilen Balkon. Das morgendliche Erklimmen der freien Plätze hat etwas von den Zombiebergen aus World War Z, würden die Zombies durch freundliche Damen in Beige angeleitet. Aber den Espresso gibt es immerhin gratis.

Irrational Man geht als Mischung aus Alfred Hitchcock und Uta Danella durch (zwei Namen, die nie wieder in einem Satz auftauchen dürfen). Philippe Garrel widmet sich der Liebe hingegen mit einem ironischen Naturalismus. Der ziemlich großartige In the Shadow of Women läuft in der Reihe Quinzaine des Réalisateurs parallel zum Festival de Cannes und bietet einen französischen Abe. Pierre (Stanislas Merhar) dreht Dokumentarfilme und seine Frau Manon (Clotilde Courau) hat einiges aufgeben müssen, um ihm dabei zur Seite zu stehen. Zum Dank geht der ausgelaugt wirkende Pierre eine Affäre ein und saugt fortan das Leben aus zwei strahlenden Frauen, die es wohl besser verdient hätten, es sich aber vielleicht nicht besser vorstellen können. Poetisch heißt es schließlich einmal: "Was ist schlimmer, dort zu duschen, wo du hinpisst, oder dort zu pissen, wo du duschst?" In der etwas mehr als 70 Minuten langen Dreiecksgeschichte wird die männliche Hybris Pierres ordentlich aufgebläht, als herauskommt, dass Manon ebenfalls eine Affäre am Laufen hat. Und wie Pierres Doppelmoral bloßgestellt wird, das ist großes Kino mit kleinsten Mitteln. Würde jemand Pierre nach seinem Lieblingstier fragen, käme ein Hummer ganz sicher in die nähere Auswahl.

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