Bäume ziehen vorüber, die Sonne bahnt sich ihren Weg durch Äste. Schnelle Überblenden, das Spiel mit Farbfiltern und eine unheilvolle Stimmung prägen die ersten Minuten von What Happened and What's Going On. Es blitzt ständig Licht auf und mysteriöse Bild-Fragmente deuten das pure Grauen an. Wo eben noch die unberührte Natur war, liegt plötzlich ein Skelett im Laub. Das idyllische Foto eines Familienhauses verwandelt sich zum Auffangbecken des tropfenden Bluts. Gleich darauf tauchen Dialogfetzen auf, Gabriel (Seth Gilliam) spricht ein Gebet und dann durchbricht ein schreckliches Weinen die Stille der menschenleeren Straßenzüge - als hätte ein inszenierungswütiger Auteur wie Jean-Luc Godard das Opening der neunten Episode der fünften Staffel von The Walking Dead in Szene gesetzt.
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Nach knapp drei Minuten erfolgt schließlich die Erlösung und Bear McCrearys vertrautes Main Theme katapultiert uns nach der langen Winterpause zurück in die Zombie-Apokalypse.
Don't you want one more day with a chance?
Hier hat die Stimmung ihren Tiefpunkt erreicht. Der verheerende Tod von Beth (Emily Kinney) sowie die Eskalation im Grady Memorial Hospital haben bleibende Spuren hinterlassen. Darüber hinaus pendelt Ricks (Andrew Lincoln) Gruppe ziellos in der Gegend herum, da sich Eugenes (Josh McDermitt) versprochene Lösung des Problems in Washington, D.C. als Farce entpuppte. Was tun? Die Frage klärt sich binnen weniger Sekunden: Im Gedenken an Beth, die mit Noah (Tyler James Williams) nach Richmond, Virginia fliehen wollte, um ihn dort mit seiner Familie wieder zu vereinen, machen sich Rick, Glenn (Steven Yeun), Michonne (Danai Jekesai Gurira), Tyreese (Chad Coleman) und Noah auf die 500 Meilen weite Reise quer durchs Land der Vereinigten Staaten von Zombiemerika. Als der Trupp jedoch in jener Gated Community ankommt, die Noah einst sein sicheres Zuhause nannte, finden Rick und Co. nichts als Verwüstung vor. Überall in den Straßen liegen Leichen, offensichtlich wurde die Festung menschlicher Überlebender von einer wilden Beißer-Horde gnadenlos überrannt.
Langsam aber sicher nehmen die eingangs vorgestellten Puzzleteile konkrete Form an und die angedeuteten Momentaufnahmen fügen sich zu einem Gesamtkunstwerk zusammen. Für The Walking Dead-Verhältnisse ist diese Inszenierung durchaus gewagt. Regisseur Greg Nicotero, seines Zeichens ein altbekanntes Gesicht hinter den Kulissen der Zombie-Apokalypse, traut es sich, die Grenzen wohlgeformter Bilder zu überschreiten. What Happened and What's Going On gehört mit Abstand zu einer der experimentellsten Episoden der Serien-Historie, die sich mittlerweile über fünf Staffeln erstreckt. Regelrecht virtuos mutet das Treiben in vereinzelten Augenblicken an. Ärgerlicherweise kann das Skript aus der Feder von Showrunner Scott M. Gimple der audiovisuellen Ausgestaltung nicht das Wasser reichen. Im Narrativ entpuppt sich die Rückkehr aus der Midseason-Pause als abgefrühstücktes Unterfangen - vor allem in puncto Tyreese, jenem Charakter, dessen Entwicklung trotz unfassbarem Potential und einem ordentlichen Vorbild in der Comic-Vorlage seit geraumer Zeit auf der Stelle herumtrampelt.
Aufgrund der Verstrickung schicksalhafter Ereignisse kommt es, wie es kommen muss. Die kreativen Köpfe entdecken keine zusätzliche Facette an Tyreese. Infolgedessen wird die Figur dezent aus dem Geschehen katapultiert. Im Gegensatz zum kürzlichen Ableben von Beth ist die Entscheidung, Tyreese den Jordan überqueren zu lassen, allerdings ein logisches beziehungsweise notwendiges sowie überfälliges Fazit. Lieber das Ensemble um einen redundanten Charakter erleichtern, bevor er endgültig zum verhängnisvollen Beiwerk hinsichtlich der Gruppendynamik verkommt. Ein weiterer positiver Nebeneffekt dieser Entscheidung ist der Knall, mit dem die zweite Hälfte der aktuellen Staffel ihren Start hinlegt: Wenn Tyreese von einem der lebenden Toten gebissen wird und daraufhin in einen halluzinierenden Zustand verfällt, tobt sich What Happened and What's Going On so richtig aus. Obgleich die (eingebildete) Wiederkehr bereits verstorbener Figuren in The Walking Dead kein Novum ist (wie etwa Loris ständige Erscheinung im Gefängnis, die Rick in den Wahnsinn getrieben hat), treibt Greg Nicotero das Ableben von Tyreese genüsslich auf die Spitze, indem er uns einen Fiebertraum sondergleichen serviert - inklusive der Präsenz von Martin, Bob, Lizzie, Mika, Beth und dem Governor in persona!
Zweifelsohne: What Happened and What's Going On hat sich den Titel als verrückter Ausreißer redlich verdient. Und gleichzeitig verbirgt sich zwischen all dem ungeordneten Tohuwabohu ein kleines, aber feines Konzept, das sich in erster Linie durch Details wie ein roter Faden durch die gesamte Folge zieht. Zum Schluss erfahren wir endlich, warum Gabriel zu Beginn der 45 Minuten vor versammelter Mannschaft im Grünen Worte des Abschieds sprach: Nachdem Michonne Tyreese in letzter Not den Arm amputiert hat, tritt das Unvermeidliche ein und der stets mit sich selbst zweifelnde Weggefährte scheidet aus dem Reigen seiner Freunde. Verloren fährt ein Wagen eine ebenso verlorene Straße entlang. Hinter ihm wirbelt er herbstliche Blätter auf. Frust, Trauer und Erschütterung sind unfassbar. Dann wird der Leichnam mit einem weißen Tuch bedeckt und vergraben. Jegliche Hoffnung scheint verloren, jeglicher Plan ist obsolet geworden.
Was bisher geschah:
The Walking Dead, Staffel 5, Folge 1: No Sanctuary
The Walking Dead,
Staffel 5, Folge 2: Strangers
The Walking Dead,
Staffel 5, Folge 3: Four Walls and a Roof
The Walking Dead,
Staffel 5, Folge 4: Slabtown
The Walking Dead,
Staffel 5, Folge 5: Self Help
The Walking Dead,
Staffel 5, Folge 6: Consumed
The Walking Dead,
Staffel 5, Folge 7: Crossed
The Walking Dead,
Staffel 5, Folge 8: Coda